Wie Entwicklungs- und Bindungstrauma zu inneren Widersprüchen führen – und wie NARM hilft, innere Spaltung in Verbundenheit zu wandeln
In vielen biografischen Verläufen, vor allem in solchen, die durch Entwicklungs- oder Bindungstrauma geprägt sind, zeigt sich ein Phänomen, das selten offen besprochen wird – Ambivalenz und emotionale Gleichzeitigkeit. Es handelt sich um das gleichzeitige Erleben scheinbar widersprüchlicher Gefühle, Bedürfnisse oder innerer Impulse. Dieses Erleben kann zutiefst verwirrend sein – und doch ist es eine völlig natürliche Reaktion auf frühere Bindungsdynamiken, die von Unsicherheit, Überforderung oder emotionaler Unerreichbarkeit geprägt waren.
Menschen mit frühen Bindungserfahrungen, in denen emotionale Resonanz fehlte oder unberechenbar war, entwickeln häufig innere Spannungszustände: Der Wunsch nach Nähe wird begleitet von Angst vor eben dieser Nähe. Der Wunsch, gesehen zu werden, kollidiert mit dem Impuls, sich zu verstecken. Solche inneren Zerrissenheiten sind keine „Fehlfunktionen“, sondern zeugen von der Intelligenz des Nervensystems, das versucht hat, mit widersprüchlichen Umweltbedingungen zurechtzukommen.
1. Ambivalenz ist kein Fehler – sie ist eine Spur in die Tiefe unserer Geschichte
Im Erleben von Menschen mit Entwicklungs- und Bindungstrauma zeigt sich häufig ein inneres Nebeneinander scheinbarer Gegensätze: z.B. das Bedürfnis nach Nähe und die Angst davor, das Verlangen nach Verbindung und der gleichzeitige Rückzug. Diese Ambivalenzen sind keine Widersprüche im klassischen Sinn – sie sind Ausdruck eines tiefen inneren Konflikts, entstanden aus frühen Erfahrungen, in denen Bindung mit Gefahr oder Schmerz verknüpft war.
Der Mensch strebt nach Kohärenz. Doch Trauma bringt das Nervensystem in Zustände, in denen Gegensätze nicht integriert, sondern abgespalten werden müssen – zur Aufrechterhaltung psychischer und physischer Sicherheit.
2. Was Ambivalenz mit Trauma zu tun hat
Bindungstrauma entsteht nicht nur durch das, was passiert ist – sondern auch durch das, was nicht geschehen durfte: sichere Beziehung, gehaltene Emotion, Resonanz. Wenn die Bezugsperson gleichzeitig Quelle von Sicherheit und Gefahr ist, entsteht ein paradoxer Zustand. Dieser wird im Nervensystem als Überlebensstrategie gespeichert.
NARM (Neuroaffektives Beziehungsmodell nach Laurence Heller) benennt dieses Phänomen als „Überlebensstil“ – nicht als Störung, sondern als intelligente Anpassung. Ambivalente Gefühle, die scheinbar „nicht zusammenpassen“, sind in diesem Kontext sinnvolle Reaktionen auf widersprüchliche Erfahrungen in frühen Beziehungsmustern.
3. Gleichzeitigkeit ist ein Zeichen von Reifung
Im Prozess der Heilung kann es darum gehen, nicht entweder-oder zu wählen, sondern sowohl-als-auch zuzulassen. Die Fähigkeit, widersprüchliche Gefühle zu halten – Traurigkeit und Dankbarkeit, Wut und Liebe, Angst und Sehnsucht – ist kein Defekt, sondern Ausdruck seelischer Reifung. Genau hier setzt NARM an: Es unterstützt dabei, alte Überlebensstrategien zu würdigen und gleichzeitig neue Beziehungs- und Selbstbeziehungen zu ermöglichen.
Diese Form der Gleichzeitigkeit kann anfangs irritieren – denn sie widerspricht einem linearen Denken. Doch in der Tiefe entsteht hier ein innerer Raum, der echte Autonomie und Verbundenheit zugleich ermöglicht.
4. Ambivalenzen würdigen – nicht überwinden
Traumasensible Begleitung bedeutet, Ambivalenzen nicht „wegzumachen“, sondern sie in ihrer Funktion zu würdigen. In der Haltung von Neugier, Mitgefühl und Nicht-Urteilen dürfen auch die scheinbar widersprüchlichsten Regungen Raum finden. Erst wenn das Innere in all seiner Komplexität gesehen wird, kann Integration geschehen.
5. Aus Widersprüchen wird Lebendigkeit
Am Ende steht keine Auflösung der Gegensätze, sondern ihre Koexistenz. Das Erleben innerer Gleichzeitigkeit darf nicht als Störung, sondern als Ausdruck von Komplexität verstanden werden. In der therapeutischen Arbeit nach NARM entsteht ein Raum, in dem alte Muster sanft hinterfragt und neue Erfahrungen von Sicherheit möglich werden – im eigenen Tempo.
Diese Erfahrung ist zutiefst ermutigend: Das, was einst als Schwäche erschien, wird zur Ressource. Ambivalenz wird zu einem Kompass, der auf etwas sehr Wesentliches verweist: das Bedürfnis nach Verbindung, ohne Selbstverlust.
6. Worte, die bleiben dürfen
Vielleicht braucht es nicht sofort eine Lösung. Vielleicht genügt es, wenn Ambivalenz nicht mehr als „zu viel“ oder „nicht normal“ empfunden wird – sondern als Ausdruck innerer Intelligenz. In dieser Haltung entsteht nicht nur Heilung, sondern auch Selbstermächtigung.
„Was du suchst, ist nicht die Antwort. Was du suchst, ist das Halten deiner Frage.“
— Rainer Maria Rilke
Das Neuroaffektive Beziehungsmodell (NARM) nach Dr. Laurence Heller bietet einen hilfreichen Rahmen, um diese Gleichzeitigkeit im inneren Erleben zu verstehen. Im Fokus stehen nicht primär traumatische Ereignisse, sondern die Beziehungsdynamiken, die sich über die Zeit in das autonome Nervensystem eingeschrieben haben. NARM arbeitet mit dem, was im gegenwärtigen Moment spürbar ist – mit den Ambivalenzen, den innere Spannungen und der oft tiefsitzenden Scham oder Schuld, die mit unerfüllten Grundbedürfnissen verknüpft sind.
Die Arbeit mit NARM bedeutet, Raum zu schaffen für all das, was nebeneinander existieren darf: Traurigkeit und Hoffnung, Sehnsucht und Schutzmechanismen, der Wunsch nach Verbindung und der gleichzeitige Rückzug.
Viele Menschen, die sich auf ihren Heilungsweg begeben, erleben zunächst Sprachlosigkeit. Wie soll etwas benannt werden, das scheinbar nicht zusammenpasst? Dass jemand gleichzeitig wütend und verständnisvoll, bindungshungrig und bindungsscheu, stark und fragil ist, scheint oft unlogisch – und doch ist es eine Wahrheit, die tiefer reicht als lineares Denken.
Traumasensible Begleitung bedeutet auch, Sprache zu finden für diese Mehrdimensionalität. Ambivalenz ist kein Zeichen von Schwäche – sie ist ein Zeichen dafür, dass innere Anteile in Beziehung treten wollen. Sie zeigt, dass das System nicht mehr in rigider Erstarrung verweilt, sondern beginnt, sich zu bewegen.
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