Warum Zeiten des Dazwischen unser Nervensystem herausfordern – und zugleich Räume für Selbstwirksamkeit öffnen
Übergänge gehören zu den grundlegendsten Erfahrungen menschlichen Lebens. Und doch zählen sie zu den herausforderndsten. Abschiede, Neubeginne, Ortswechsel, innere Richtungsänderungen oder das bewusste Loslassen alter Lebensentwürfe bringen unser inneres Gleichgewicht in Bewegung. Sie markieren Momente, in denen das Vertraute endet, ohne dass das Neue bereits verlässlich Gestalt angenommen hat.
Gerade in solchen Phasen wird spürbar, wie sehr Sicherheit nicht nur von äußeren Umständen abhängt, sondern von inneren Beziehungs- und Regulationsfähigkeiten. Übergänge sind keine neutralen Ereignisse – sie sind tief im Nervensystem verankerte Erfahrungen.
1. Übergänge als Zustand erhöhter Vulnerabilität
Aus traumasensibler Perspektive stellen Übergänge Phasen erhöhter Aktivierung dar. Das Nervensystem verliert bekannte Orientierungspunkte und beginnt, mögliche Gefahren zu antizipieren. Selbst positiv konnotierte Veränderungen können daher Stress auslösen. Nicht, weil sie falsch sind – sondern weil Veränderung immer auch Verlust bedeutet.
Für Menschen mit Entwicklungs- oder Bindungstrauma kann diese Aktivierung besonders intensiv erlebt werden. Frühere Erfahrungen von Unsicherheit, Verlassenwerden oder emotionaler Unzuverlässigkeit können in Übergangsphasen reaktiviert werden – oft subtil, körperlich spürbar, ohne klare Worte.
2. Abschied ist nicht nur Loslassen – sondern Beziehung
Abschied wird häufig als Akt des Loslassens beschrieben. Doch aus beziehungsorientierter Sicht ist Abschied zunächst ein relationales Geschehen. Etwas, das einmal Bedeutung, Halt oder Identität gegeben hat, wird innerlich neu verortet. Nicht alles, was endet, verschwindet. Vieles will integriert werden.
Wenn Abschiede nicht bewusst gestaltet werden können – etwa weil sie abrupt, überfordernd oder ungeklärt sind – bleibt das Nervensystem oft in einem Zustand von Unvollständigkeit zurück. Traumasensible Begleitung würdigt daher nicht nur den Neubeginn, sondern auch das, was betrauert werden möchte.
3. Neubeginn als Akt von Selbstbeziehung
Ein Neubeginn ist selten frei von Ambivalenz. Freude, Hoffnung und Aufbruch stehen oft neben Angst, Zweifel und innerem Widerstand. Diese Gleichzeitigkeit ist kein Zeichen mangelnder Entschlossenheit, sondern Ausdruck innerer Komplexität.
Aus NARM-Perspektive kann ein bewusster Neubeginn als Akt von Selbstbeziehung verstanden werden. Eine Entscheidung für Veränderung bedeutet nicht, dass alle Unsicherheiten gelöst sind – sondern dass ein inneres Einverständnis entsteht, sich selbst in diesem Prozess nicht zu verlassen.
Neubeginne sind weniger ein Beweis von Mut als ein Zeichen von innerer Verbundenheit.
4. Die Kraft von Entscheidungen in Übergängen
Entscheidungen in Übergangsphasen haben eine besondere Qualität. Sie entstehen selten aus vollständiger Klarheit, sondern aus einem inneren Spüren von Stimmigkeit. Diese Art von Entscheidung ist nicht kontrollierend, sondern regulierend. Sie stärkt das Gefühl von Selbstwirksamkeit – selbst dann, wenn der Weg noch ungewiss ist.
Für das Nervensystem kann eine bewusst getroffene Entscheidung Sicherheit erzeugen, nicht weil sie Risiken ausschließt, sondern weil sie Orientierung bietet. In diesem Sinn sind Entscheidungen in Übergängen weniger strategisch als beziehungsorientiert: eine Ausrichtung auf sich selbst.
5. Übergänge brauchen Zeit – und Würdigung
In einer leistungsorientierten Kultur werden Übergänge oft beschleunigt. Abschiede sollen „abgehakt“, Neubeginne möglichst effizient gestaltet werden. Doch innere Prozesse folgen einer anderen Logik. Integration geschieht nicht linear.
Traumasensible Räume erlauben es, Übergänge zu verlangsamen, zu verkörpern und zu würdigen. Sie machen Platz für das Dazwischen – jenen Zustand, der weder Vergangenheit noch Zukunft ist, sondern Gegenwart in Bewegung.
6. Wenn das Dazwischen zum Erfahrungsraum wird
Heilung bedeutet nicht, Übergänge schmerzfrei zu machen. Sie bedeutet, ihnen mit innerer Präsenz zu begegnen. Wenn Abschied, Neubeginn und Unsicherheit nicht mehr als Bedrohung erlebt werden, sondern als Teil lebendiger Entwicklung, entsteht ein neues inneres Vertrauen.
Übergänge erinnern uns daran, dass Stabilität nicht im Festhalten liegt – sondern in der Fähigkeit, in Beziehung zu bleiben: mit uns selbst, mit unseren Entscheidungen, mit dem, was sich wandelt.
„Man muss den Dingen
die eigene, stille,
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann.“
— Rainer Maria RilkeÜbergänge fordern uns heraus, ohne uns zu überfordern, wenn sie in einem haltenden Kontext stattfinden dürfen. In der traumasensiblen Begleitung – etwa im Rahmen von NARM – wird genau dieser Kontext geschaffen: ein Raum, in dem Abschied und Neubeginn nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern gemeinsam existieren dürfen.
So wird das Dazwischen nicht zum Zustand des Verlorenseins, sondern zu einem Ort der Selbstbegegnung.
Das Neuroaffektive Beziehungsmodell (NARM) nach Dr. Laurence Heller bietet einen tragfähigen Rahmen, um Übergänge, Abschiede und Neubeginne sanft zu begleiten. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht einzelne Ereignisse, sondern die Beziehungsdynamiken, die sich über die Zeit im autonomen Nervensystem verankert haben – und die gerade in Phasen des Wandels besonders spürbar werden.
NARM arbeitet mit dem, was im gegenwärtigen Moment lebendig ist: mit der Unsicherheit im Dazwischen, mit Ambivalenzen, inneren Spannungen und den oft tief verankerten Gefühlen von Scham oder Schuld, die mit unerfüllten Grundbedürfnissen nach Sicherheit, Orientierung und Zugehörigkeit verbunden sind. Übergänge bringen diese inneren Bewegungen nicht hervor – sie machen sie sichtbar.
Die Arbeit mit NARM bedeutet, Raum zu schaffen für alles, was gleichzeitig existieren darf: Abschied und Vorfreude, Traurigkeit und Hoffnung, den Impuls nach Aufbruch und das Bedürfnis nach Schutz. Neubeginn wird dabei nicht als Ziel verstanden, das erreicht werden muss, sondern als Prozess, der sich im eigenen Tempo entfalten darf.
Viele Menschen erleben in Übergangsphasen zunächst eine innere Sprachlosigkeit. Wie lässt sich etwas benennen, das sich noch nicht klar anfühlt? Dass jemand zugleich zweifelnd und entschlossen, bindungshungrig und bindungsscheu, kraftvoll und verletzlich ist, wirkt widersprüchlich – und beschreibt doch genau die innere Realität von Veränderung.
Traumasensible Begleitung bedeutet hier, keine vorschnellen Antworten zu geben, sondern einen Halt anzubieten, in dem das Dazwischen ausgehalten werden kann. So entsteht die Möglichkeit, Übergänge nicht als Bedrohung, sondern als Ausdruck lebendiger Selbstbeziehung zu erfahren – und Schritt für Schritt Vertrauen in den eigenen Weg zu entwickeln.
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